Komasaufen, Vernunft, Verantwortung und Selbstkontrolle

Veröffentlicht auf von Methusalem

Immer wieder einmal wird beklagt, dass Jugendliche sich immer häufiger ins Koma saufen. Die Forderung des Jugendforschers Klaus Hurrelmann, zur Not die Gesetze zu verschärfen und die Erklärung, im Elternhaus fehle die soziale Kontrolle, hat zwar ihre Logik, aber auch eine Lücke. Zumindest dann, wenn man sich auf die Darstellung im oben genannten Artikel beschränkt.

Wie steht es denn im Gesetz? Der Paragraph 9 im Jugenschutzgesetz ist hier recht eindeutig:

§ 9 Alkoholische Getränke


(1) In Gaststätten, Verkaufsstellen oder sonst in der Öffentlichkeit dürfen

1. Branntwein, branntweinhaltige Getränke oder Lebensmittel, die Branntwein in nicht nur  geringfügiger Menge enthalten, an Kinder und Jugendliche,
2. andere alkoholische Getränke an Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren weder abgegeben noch darf ihnen der Verzehr gestattet werden.


Ab 16 also ist Alkohol legal - und in welcher Form das Gesetz verschärft werden sollte, ist ungeklärt.
Ob es eingehalten wird, ist eine ganz andere Frage... Der Gedankengang über Vernunft, Verantwortung und Selbstkontrolle geht in eine andere Richtung. Und ich glaube nicht, dass es hier um etwas völlig Neues geht, eher darum, etwas bewusst zu machen, das tagtäglich geschieht und sich auch als soziale Kontrolle zeigt.
Das Prinzip: Informationen bereit stellen und Argumentationsstrategien entwickeln. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat eine Zusammenstellung veröffentlicht, die auf die Problematik des zunehmenden Alkoholpegels aufmerksam macht.Dafür wird eben keine Werbung gemacht! Interessant ist eine Umfrage der DAK - 45% der Eltern befürworten ein generelles Werbeverbot für Alkohol. Es ist ein Teil des Ganzen, zeigt die Einseitigkeit, mit der das Thema Alkohol in der Öffentlichkeit und in den Medien dargestellt wird. Vernünftig ist, dieses einseitige Bild zu vervollständigen - die Möglichkeit, sich zu informieren, ist durchaus vorhanden. Fragen wir also nach den Gründen, warum Komasaufen "Mode" ist, dann greift ein Verbot der Alkoholwerbung zu kurz. Als Ursache kommt die Werbung ja nur dann in Betracht, wenn wir davon ausgehen, dass Jugendliche zu dumm sind, um die Einseitigkeit der Darstellung zu kommerziellen Zwecken nicht zu durchschauen. Schärfere Gesetze nützen nichts, wenn sich niemand daran hält.
Der Appell an die Vernunft richtet sich zunächst an die Erwachsenen - und das, was sie der nächsten Generation vorleben. In aller Ruhe darüber nachzudenken, was es mit dem Alkohol wirklich auf sich hat, sachlich zu informieren, wo die Gefahren liegen und darauf hinzuweisen, dass das Körpergewicht einen starken Einfluss auf die Wirkung des Alkohols hat - das sind Ansatzpunkte, den Sinn des Jugendschutzgesetzes zu verdeutlichen. Ich glaube nicht, dass Jugendliche nicht in der Lage sind, zu verstehen, wie problematisch Alkoholkonsum werden kann - schon eher, dass viel zu wenig Mühe darauf verwendet wird, diese Probleme fundiert und glaubwürdig zu diskutieren.
Dabei sein wollen, nicht als Schwächling dastehen, sich einmal so richtig austoben - das sind keine "neuen" Motive. Sie sind verständlich, ebenso wie die Entgleisungen, die auf einen Mangel an Selbstkontrolle zurückzuführen sind. Wer also bringt es jungen Menschen bei, sich selbst zu kontrollieren, in einer Gruppe, die das "binge drinking" toll findet, eine vernünftige Position zu vertreten und die Frage zu stellen, ob das wirklich eine gute Idee ist? Nüchtern betrachtet ist es kaum nachvollziehbar, was toll daran sein soll, mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert zu werden. Nüchtern betrachtet ist es ein Zeichen des Versagens, wenn es "die Erwachsenen von heute" nicht (mehr?) schaffen, der "Jugend von heute" zu vermitteln, dass es andere "Sportarten" gibt - und andere Möglichkeiten, in einer Gruppe Anerkennung zu finden. Der Appell an die Vernunft: Argumentation als Denksportaufgabe kann sich das Ziel setzen, den Verzicht oder (bescheidener) den begrenzten Konsum von Alkohol zu begründen und zu verteidigen. Als Anregung schlage ich einen Werbeslogan vor:

"Komasaufen? Nein danke! - Irgendwo hört der Spass auf"

Die Fähigkeit und die Rationalität, für sich selbst und für andere Verantwortung zu tragen, daraus Selbstkontrolle im eigenen Verhalten zu entwickeln und einzuüben - das sind Defizite, die in der Diskussion viel zu wenig beachtet werden. Schärfere Gesetze, mehr Verbote und mehr Strafen - fällt uns Erwachsenen wirklich nicht mehr, nichts Besseres ein? Die kritische Frage der Vernunft bezieht sich aber auch - und vor allem - auf jene, die für das Komasaufen plädieren und andere auch noch dazu animieren: fällt Euch da wirklich nichts Besseres ein? Komasaufen ist bescheuert.

 

P.S. Den neuen Drogebericht, Stand Mai 2008, gibt es hier als Download

Veröffentlicht in Prävention

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M
(Sorry, den letzten Kommentar musste ich leider löschen, weil ich nicht das Bedürfnis habe, mir eine Abmahnung wegen der Duldung übler Nachrede einzuhandeln)
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