Die Lebensgeschichte aufarbeiten

Veröffentlicht auf von Methusalem


Versuchspersonen gesucht für eine Diplomarbeit: so kam ich also dazu, zum ersten Mal so richtig über mein Leben nachzudenken. Eine Lebenslinie darzustellen, denn es ging in der besagten Diplomarbeit um symbolische Repräsentation. Und die Rückmeldung, die ich dann bekam, gab mir dann auch zu denken... aber darüber schweige ich hier.
Auf jeden Fall war das ein interessanter Anstoss. Anleitung zum Nachdenken... später fragte ich mich, ob das Nachdenken über die Lebensgeschichte "an sich" schon therapeutisch ist, und auch, ob das eine Angelegenheit ist, die ausserhalb des therapeutischen Rahmens Sinn und Berechtigung hat. Nein und ja - das Nachdenken über die eigene Geschichte kann traurig machen, zu endlosen Grübeleien führen, Bitterkeit erzeugen, je nachdem, wie das Leben eben verlaufen ist. Die Haltung also ist eines, die konstruktive Gestaltung des Nachdenkens ein anderes. Aus Erfahrungen zu lernen ist sinnvoll, Grundtendenzen zu erfassen ist hilfreich und wenn es Einsichten gibt, das manches nicht gut verlaufen ist, dann hilft die Klarheit, was wie anders laufen kann oder soll. 
Wenn man sich mit Lebensläufen näher beschäftigt, zeigt sich NIE eine gerade Linie. Das Auf und Ab ist Realität, dass es mal besser, mal schlechter geht, dass Irrwege und Umwege immer wieder auftauchen, das Gelingen und Scheitern oft sehr nahe beieinander liegen. Das Eine betonen heisst etwas anderes vernachlässigen - und die Menschen, denen alles "in den Schoss fällt", die gibt es vielleicht im Märchen oder in Hollywoodfilmen. Einer der schönsten Aspekte in der Arbeit mit Biographien aber ist die Suche nach Ressourcen: Einsichten zu sammeln, Erkenntnisse zu bündeln und zu erkennen, dass sich Bewältigungsansätze und Lösungsrichtungen, die vielleicht in einer schwierigen Situation entstanden sind, oft auch in gegenwärtigen oder zukünftigen Situationen als nützlich erweisen - das hat etwas Ermutigendes. Die Vorstellung, die manchmal entsteht, "alles falsch gemacht zu haben" ist genau besehen eine Verzerrung. Das wäre schon eine besondere Kunst, wirklich alles falsch zu machen... 
Die Lebensgeschichte lässt sich oft mit einem Bild beschreiben: es kann ein Weg sein, ein Puzzle, eine Suche... und oft wird ein roter Faden sichtbar, der sich durch das Leben zieht, die Logik des eigenen Lebens deutlich macht. Nachdenken über die eigene Geschichte - es ist ein Weg zur Selbsterkenntnis, gleichzeitig eine Chance, über die Richtungen und Wendungen Klarheit zu gewinnen und entscheiden zu können, ob es an der Zeit ist, neue Akzente zu setzen.
Die Erfahrung, im Leben etwas erreicht zu haben, das Leben sinnvoll gestaltet zu haben, hat oft etwas mit Perspektiven zu tun, die eben realistisch genug waren, um verwirklicht werden zu können. In der Regel fällt das Glück nicht vom Himmel - wer etwas erreichen will, muss auch etwas dafür tun. Wichtig ist auch die Einsicht, dass sich die Vergangenheit nicht mehr ändern lässt und die typische Frage nach dem Warum oft alles andere als hilfreich ist. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte sollte deshalb, meine ich, immer begleitet sein vom, Blick nach vorn. Die Zukunft ist offen, schwer zu prognostizieren, aber dennoch mitzugestalten.

Veröffentlicht in Lebensentwurfarbeit

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